Presseerklärungen

Abschlussbericht der Expertenkommission StPO

Wir sind enttäuscht!

Abschlussbericht der Expertenkommission StPO veröffentlicht

Am 13.10.2015 hat die von Bundesjustizminister Heiko Maas zu Beginn der Legislaturperiode einberufene Expertenkommission zur Reform der StPO ihren Abschlussbericht veröffentlicht. Ziel war es laut Maas “das Strafverfahren unter Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze effektiver und praxistauglicher zu gestalten“. Angesichts der Zusammensetzung der Kommission, die neben Richtern, Staatsanwälten und Justizbürokraten auch eine stattliche Anzahl von Wissenschaftlern und Repräsentanten von Anwaltsorganisation beinhaltete, und angesichts der Tatsache, dass Maas seiner Zeit ankündigte, die Kommission könne ohne inhaltliche Vorgaben aus dem BMJ „selbstbestimmt ihr Arbeitsprogramm festlegen, selbst ausloten, wo es Regelungsbedarf gibt und selbst einschätzen, wo und wie diese am besten umgesetzt werden kann“, bestand auch unter uns Strafverteidigern die verhalten optimistisch begründete Hoffnung, die Begriffe „effektiv“ und „praxistauglich“ würden ausnahmsweise einmal nicht im Sinne von „billiger“ und „kürzer“, sondern im Sinne von „rechtsstaatlicher“ und „Beschuldigtenrechte stärkend“ ausgelegt. Die Hoffnung hat leider im Wesentlichen getäuscht:
Nach erster überschlägiger Einschätzung ist leider doch nicht allzu viel Gutes dabei herausgekommen. Am Ende ging es wohl doch einmal mehr darum, die Verfahren aus Sicht des Gerichts schneller, effektiver und – für das Gericht – einfacher zu gestalten. Die meisten Vorschläge dienen (wieder einmal) weniger der Stärkung von Beschuldigtenrechten, sondern mehr, vermeintliche Verfahrensverzögerung durch aktive Verteidigung zu minimieren.

Zwar werden im Ermittlungsverfahren ein paar minimale Zugeständnisse gemacht, z.B. soll das Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei polizeilichen Beschuldigtenvernehmungen mit eigenem Fragerecht geschaffen werden (was ohnehin auch bislang relativ leicht durchsetzbar war) oder auch ein eigenes Antragsrecht zur Bestellung eines Pflichtverteidigers im Ermittlungsverfahren. Dafür aber möchte man u.a. den Richtervorbehalt bei Blutproben abschaffen und eine Erscheinenspflicht von Zeugen bei der Polizei einführen. Zu einem Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei SV-Explorationen konnte man sich aber ebenso wenig entschließen wie zu einer Ausdehnung der Pflichtverteidigung auf den Zeitpunkt der vorläufigen Festnahme bzw. Verhaftung. Immerhin soll aber – die eigentliche Selbstverständlichkeit – dass auch Anbahnungsgespräche dem Schutzbereich des § 148 StPO unterfallen, gesetzlich geregelt werden. Eine unserer Hauptforderungen, die audiovisuelle Aufzeichnung von Beschuldigten- und Zeugenvernehmungen, soll dagegen nur bei „schweren Tatvorwürfen oder schwieriger Sach- und Rechtslage“ sowie auch nur „im Regelfall“ eingeführt werden.

Und auch auf den ersten Blick positive Vorschläge wie z.B. etwa die nach der Überschrift vorgeschlagene „gesetzliche Regelung des Verbots der Tatprovokation“ und die „Neuausrichtung des Straftaten-Katalogs des § 100a Abs. 2 StPO“ entpuppten sich bei Durchsicht der jeweiligen Vorschlagsbegründung doch eher als „Mogelpackung“: So soll die rechtsstaatswidrige Tatprovokation nicht – wie die Entscheidung des EGMR vom 24.10.2014 doch vermuten ließe – zu einem zwingenden Beweisverwertungsverbot führen, sondern es sei an „die Regelung einer abgestuften Lösung“ der Konsequenzen zu denken. Und auch die Neuordnung des §100a-Kataloges denkt nach der Begründung nicht etwa an eine Einschränkung des Kataloges, sondern – neben der Aufnahme bestimmter Vergehensdelikte – die Erweiterung des Kataloges auf alle Verbrechenstatbestände, u.a. aus Gründen der „Übersichtlichkeit“.

Im Hauptverfahren sieht es ähnlich „düster“ aus: Auch hier gibt es ein paar (minimale) Zugeständnisse, die aber ebenfalls teuer erkauft sind: Befangenheitsanträge sollen erschwert werden, eine vom Richter anzuordnende Präklusionsfrist für Beweisanträge eingeführt und Verlesungs- und sonstige Möglichkeiten des Beweistransfers in die Hauptverhandlung erweitert werden.
Zu einer verbindlichen Empfehlung der audiovisuellen Dokumentation der Hauptverhandlung konnte man sich ebenso nicht durchringen. Dies bedürfe angesichts vielfältiger Probleme längerer Diskussion; hier heißt es nur sehr zurückhaltend, diese solle für das LG- und OLG-Verfahren unter Berücksichtigung des „Schutz der Persönlichkeitsrechte und der Auswirkungen auf das Revisionsverfahren“ weiter geprüft werden. In Verfahren vor dem AG solle die Möglichkeit geschaffen werden einzelne Vernehmungen audiovisuell zu protokollieren.
Eingeführt werden soll die gesetzliche Regelung eines (auch jetzt schon regelmäßig möglichen) „opening statements“ nach Anklageverlesung und es wird angeregt – allerdings ohne eine gesetzliche Verpflichtung für den Richter oder Anspruch des Angeklagten oder des Verteidigers , dass vor umfangreichen LG oder OLG-Verfahren ein nichtöffentlicher Erörterungstermin stattfinden kann (auch das ist bereits möglich und wird häufig praktiziert) und es wird – ohne Neuregelung – angeregt, dass die Gerichte die im Gesetz bereits angelegte Möglichkeit zum Bericht über den Verfahrensstand (§ 257b) verstärkt nutzen sollten. Eine Verpflichtung des Gericht, vorläufige Einschätzungen abzugeben oder Rechtsgespräche zu führen, soll aber – so ausdrücklich in den Vorschlägen der Kommission – nicht eingeführt werden.

Im Rechtsmittelverfahren wird – immerhin – wenigstens vorgeschlagen, im Wesentlichen alles zu lassen wie es ist, also wenigstens kein Wahlrechtsmittel einzuführen, die Annahmeberufung nicht zu erweitern und Verfahrenshindernisse weiterhin von Amts wegen und nicht bloß auf Rüge zu beachten. Neu eingeführt werden soll lediglich die Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung gem. § 153a im Revisionsverfahren.
Insgesamt bleiben die Vorschläge damit weit hinter den Erwartungen der Strafverteidiger zurück und erweisen sich auch nicht als geeignet, die in den Vordergrund gestellte „Verbesserung von Kommunikation und Transparenz“ wesentlich voranzubringen. Die vollmundig angepriesenen „Geschenke“ des Ausbaus von Verfahrensrechten erweisen sich mit dem gleichzeitig vorgeschlagenen Abbau zahlreicher Rechte als teuer erkauft und bei näherem Hinsehen vielfach als „Placebo-Regelungen“, die entweder nicht mittels eines Rechtsanspruchs durchsetzbar sind oder ohnehin schon nach bestehender Gesetzeslage praktiziert werden. Angesichts der Zusammensetzung der Kommission hätte man möglicherweise mehr erwarten können (teilweise sieht man aber an z.T. engen Abstimmungsergebnissen einzelner Vorschläge des Abschlussberichts, dass es zumindest erheblichen Gegenwind für die jetzigen Mehrheits-Beschlüsse/Vorschläge gab). Die Kommission war in der Mehrheit dann aber offensichtlich doch – wie es der Kollege RA Jens Ferner ausdrückt – „von der Angst getragen, neue Pflichten für Richter zu schaffen und aktive Möglichkeiten der Verfahrensbeeinflussung und zugleich Kontrollmöglichkeiten über das Gericht für die Verteidigung zu schaffen.“
Noch sind es nur Vorschläge….

Der Volltext des Abschlussberichts kann abgerufen werden unter: Abschlussbericht Reform der StPO

Für den Vorstand: RA Dr. Frank Nobis

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