Veranstaltungen

44. Strafverteidigertag
2023

12. – 14. Mai 2023

Berlin

Freitag Sonntag
bis zu 10 Zeitstunden nach § 15 FAO

Ort
Henry-Ford-Bau Freie Universität Berlin
Garystraße 35
D-14195 Berlin-Dahlem

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Anmeldung

Anmeldungen sind ausschließlich über das Online-Buchungssystem des Veranstalters möglich.

Kosten

Mitglieder: 350 €
(294,12 € zzgl. 19% USt.i.H.v. 55,88 €)

Nichtmitglieder: 500 €
(420,17 € zzgl. 19% USt.i.H.v. 79,83 €)

Junge Kolleg*innen: 250 €
(210,08 € zzgl. 19% USt.i.H.v. 39,92 €)

Student/Referendar*innen: 100 €
(84,03 € zzgl. 19% USt.i.H.v. 15,97 €)

Mitglieder sind alle Mitglieder der ausrichtenden Strafverteidigervereinigungen. Der Tagungspreis umfasst die Veranstaltung, ausführliches Material sowie den Ergebnisband im Nachgang der Tagung. Anreise, Unterkunft und Verpflegung außerhalb der Kaffeepausen am Samstag sind im Tagungspreis nicht inbegriffen. Für die Abendveranstaltung, die in der Verantwortung der gastgebenden lokalen Vereinigung liegt, können ggfs. gesonderte Teilnahmegebühren erhoben werden.

Ist unser Rechtsstaat eigentlich noch zu retten?

Zum Thema

Der Rechtsstaat scheint heute noch gefährdeter als der deutsche Wald. Von Klimaaktivisten, die sich an die Straße kleben, über Freunde russischer Kriegspolitik und palästinensische Fahnenverbrenner, arabische oder kurdische Großfamilien, echte oder vermeintliche Coronabetrüger und falsch abrechnende Teststellen bis zu verschlüsselten Onlineplattformen mit wahlweise Pornographie oder semilegalen Rauschmitteln ruft jede gesellschaftliche Krise immer auch ihre Mahner auf den Plan. Keine Krise ohne die ihr eigene Strafnorm, kein Problem, das nicht (auch) strafrechtlich bewältigt werden soll, um den Rechtsstaat zu schützen, denn sein Untergang scheint nahe.

Auch Strafverteidiger*innen sehen den Rechtsstaat stets bedroht – bedroht von Polizeigewerkschaftlern, Rechtspolitikern, No-means-No-Aktivistinnen und überhaupt: Populisten. Über die zur Gewohnheit verblasste Aufregung über die ständige Ausweitung der Strafbarkeit gerät leicht aus dem Blick, dass damit seit längerem eine grundsätzliche Veränderung des Verhältnisses einhergeht, in dem der (strafende) Staat dem Bürger gegenüber tritt. Strafbar sind nicht nur in einer zunehmenden Zahl Tatbestände, die im Vorfeld konkreter Rechtsgutsverletzung liegen, das zum Interventionsrecht verkommende Strafrecht begibt sich zunehmend in Bereiche der Gefahrenabwehr und löst sich damit zugleich von einem Strafrecht, das notwendigerweise retrospektiv auf eine individuell und konkret zurechenbare Schuld reagiert.

›Schuld‹ ist der zentrale Begriff des deutschen Strafrechts, das sich ›Schuldstrafrecht‹ nennt und das dem Rechtsstaatsprinzip als elementarem Prinzip des Grundgesetzes einschränkungslos verpflichtet ist. Schuld berührt unmittelbar die Frage der Geltung von Strafnormen und der Legitimation unseres Strafrechts überhaupt. Dennoch wird der Begriff der ›Schuld‹ im StGB an keiner Stelle definiert. Die vom Großen Senat des BGH 1952 gegebene Auffassung lautet:

»Schuld ist Vorwerfbarkeit. Mit dem Unwerturteil der Schuld wird dem Täter vorgeworfen, daß er sich nicht rechtmäßig verhalten, daß er sich für das Unrecht entschieden hat, obwohl er sich rechtmäßig verhalten, sich für das Recht hätte entscheiden können.
Der innere Grund des Schuldvorwurfs liegt darin, daß der Mensch auf freie, verantwortliche sittliche Selbstbestimmung angelegt und deshalb befähigt ist, sich für das Recht und gegen das Unrecht zu entscheiden, sein Verhalten nach den Normen des rechtlichen Sollens einzurichten und das rechtlich Verbotene zu vermeiden, sobald er die sittliche Reife erlangt hat und solange die Anlagen zur freien sittlichen Selbstbestimmung nicht durch die in § 51 StGB genannten krankhaften Vorgänge vorübergehend gelähmt oder auf Dauer zerstört ist…
Der Mensch ist, weil er auf freie, sittliche Selbstbestimmung angelegt ist, auch jederzeit in die verantwortliche Entscheidung berufen, sich als Teilhaber der Rechtsgemeinschaft rechtmäßig zu verhalten und das Unrecht zu vermeiden.«

Wenn der BGH in dem zitierten Beschluss Begriffe wie »Schuld‹, »Freiheit« und »sittliche Selbstbestimmung« bemüht, darf davon ausgegangen werden, dass hier von mehr als nur den sozialpsychologischen und biochemischen Voraussetzungen des Gesetzesgehorsams die Rede ist. Vergleicht man aber den philosophischen Gehalt der Begriffe mit der Auslegung, die diese Begriffe von heutigen Strafrechtsdogmatikern und -kommentatoren erfahren, wird deutlich, dass wir es gegenwärtig nicht mit einem ›Update der Benutzeroberfläche‹ des Strafrechts zu tun haben, sondern mit einem kompletten Austausch des ›Betriebssystems‹, bei dem das wertorientierte Schuldstrafrecht ausgetauscht wird gegen schuldunabhängige ›Richtigkeitsrechtsprechung‹ eines funktionalen Strafrechts als ergebnisorientiertem Regelwerk gesellschaftlicher Befriedung.

Diesem funktionalen Strafrecht geht es um die Verfolgung überindividueller, von Gesellschaft und Staat definierter Interessen, vor allem aber um den Selbsterhalt der jeweiligen politischen Ordnung. Unter dieser Prämisse wird das Strafrecht von einer Begrenzung der Politik zu ihrem Mittel. Stand hinter dem herkömmlichen Schuldprinzip das Menschenbild einer durch Freiheit, Vernunft und Sittlichkeit charakterisierten Person, die die Legitimation des Strafrechts und der sie treffenden Strafe mitträgt, so hat das funktionale Strafrecht den Bürger als Quelle der Gefahr ausgemacht. Dem Schuldstrafrecht steht ein Mensch gegenüber, der zur sinnhaften Orientierung an der Norm fähig und Adressat einer durch seine Schuld begrenzten Strafe ist; im funktionalen Strafrecht ist der Mensch nur zum Gehorsam gegenüber der Norm zu veranlassen und Adressat der an ihren generalpräventiven Wirkungen zu messenden Zwangsmaßnahmen.

Damit einher geht eine tendenzielle Maßlosigkeit, mit der die staatliche Gewalt auf Rechtsbruch reagiert, wenn mit dem funktionalen Konzept der Zweck (Rechtsfrieden, Rechtsempfinden der Bevölkerung, Sicherheit usw.) das Maß der Einwirkung auf den Täter (oder »Gefährder«) bestimmt. Denn es sind die instrumentellen Wirkungen, die man sich von der jeweiligen Maßnahme verspricht, die die Suche nach der Reaktion bestimmen und nicht die gerechtigkeitsorientierte Frage nach der Qualität der Unrechtsmaterie.

Für das Verfahrensrecht gilt, dass Funktionalisierung mit Entformalisierung einher geht. Verfahrensvereinfachung und Ökonomisierung mit den Bestrebungen zu einem konsensualen Verfahren sind ein Geschenk des funktionalen Strafrechts und wohl eines der deutlichsten Zeichen der Verabschiedung vom Schuldprinzip. Auf diesem Boden wachsen die Entgrenzung staatlicher Eingriffsmöglichkeiten und die Einschränkung von Beschuldigten- und Verteidigerrechten gleichermaßen.


Programm

Freitag, 12. Mai 2023

Henry-Ford-Bau der Freien Universität / Audimax 

ab 17.00 Uhr
Anmeldung und Akkreditierung 

18.30 Uhr
Eröffnung und Begrüßung

Eröffnungsvortrag
Rechtsanwalt Stefan Conen, Berlin
»Vom Schuldstrafrecht zum funktionalen Strafrecht« 

im Anschluss
Empfang für die Gäste & Teilnehmer*innen des Strafverteidigertages im Foyer des Henry-Ford-Baus


Samstag, 13. Mai 2023

Freie Universität

09.00 – 12.30 & 14.00 – 17.00 Uhr
Arbeitsgruppen 

17.30 Uhr
Aktuelles aus Europa
Rechtsanwältin Dr. Anna Oehmichen 

17.30 Uhr
Fehlurteil & Wiederaufnahme
Projektvorstellung von RA Prof. Dr. Stefan König & Prof. Dr. Carsten Momsen 

18.00 Uhr
Die Republik vor Gericht
über Heinrich Hannover spricht Ulrich K. Preuß

ab etwa 21.00 Uhr
Abendveranstaltung
der Vereinigung Berliner Strafverteidiger*innen


Sonntag, 14. Mai 2023 

Henry-Ford-Bau der Freien Universität / Audimax 

10.00 – 12.30 Uhr
Schlussveranstaltung